Im letzten Artikel haben wir über unsere Erwartungen gesprochen, die unsere Partner erfüllen müssen, damit wir uns sicher fühlen, und wenn sie das nicht tun, neigen wir dazu, uns neue Partner zu suchen, immer auf der Suche nach jemandem, der unseren Traum von "dem einen richtigen Partner" erfüllt.
Da wir uns damit aber in einen Teufelskreis unerfüllter Wünsche begeben, müssen wir darauf vertrauen, dass unser Partner, auch wenn wir ihm nicht immer vertrauen, trotzdem mit uns zusammen sein will. Es ist paradox: "Damit du mir vertrauen kannst, muss ich mir bewusst werden, dass es Zeiten geben wird, in denen du mir nicht vertrauen kannst. Ich muss mir bewusst werden, dass es Zeiten geben wird, in denen ich von meinem Schatten geleitet werde und ich (unbewusst) Situationen erschaffen werde, wo weder ich noch du mir vertrauen können. Und ich muss dich das wissen lassen, damit ich weiß, dass du mir vertrauen wirst.“
Das ist nicht zu kompliziert, das ist paradox.
Ein Paradoxon ist etwas, das zunächst widersprüchlich erscheint, aber wenn man länger über seine Bedeutung nachdenkt, kann man seine tieferliegende Wahrheit erkennen (z. B. “Weniger ist mehr“).
Es sind die zwei Kräfte, die in uns wohnen und gegensätzlich sind, die es gilt anzuerkennen und zu integrieren:
Das sogenannte „Niedere Selbst“ ist der Teil von uns, der nach Trennung strebt, getrieben aus Angst (Angst verletzt, verlassen, gedemütigt, betrogen zu werden, nicht genug zu haben oder genug zu sein, etc. ). Dieses ist sehr oft nicht „ersichtlich“ und meist unbewusst und wird auch oft als „Schatten“ bezeichnet.
Das „Höhere Selbst“, das Gegenteil, ist der Teil von uns, der nach Verbundenheit und Einheit strebt, der ein tieferes Wissen darüber hat, wer wir wirklich sind und dass wir alle Eins und alle gleich sind.
Das ist eine wichtige Erkenntnis in Beziehungen: "Bin ich bereit, anzuerkennen, dass ich immer von meinem Schatten geleitet werde?? IMMER!"
Wie zeigt sich das niedere Selbst in Beziehungen:
"Ich habe Recht, du hast Unrecht"
"Ich muss Recht haben!"
"Ich habe hundertprozentig Recht!”
"Ich habe absolut Unrecht!"
"Ich kann nicht falsch liegen!"
Jede "absolute" Aussage ist ein Ausdruck des niederen Selbst. Wenn wir in Dualität verharren (gut vs. schlecht, korrekt vs. inkorrekt, fair vs. unfair, immer vs. nie) ist das ein Anzeichen, dass wir im Schatten leben.
Dualität gibt uns sehr oft das Gefühl der Sicherheit, weil wir dann eine feste Definition haben. Wir denken, wir wissen und Wissen gibt uns Sicherheit.
Verletzlichkeit bedeutet, das Streben nach Sicherheit zu opfern.
Verletzlichkeit ist die Fähigkeit, nicht auf das Ergebnis fixiert zu sein.
Wir müssen riskieren, in Beziehungen unsicher zu sein, um verletzlich, echt und vertrauenswürdig zu sein.
Und wenn wir über "sich unsicher fühlen" sprechen, sprechen wir meistens über eine Gefahr für unser Selbstbild. Natürlich gibt es so etwas wie eine Gefahr für den Körper, aber davon spreche ich jetzt nicht, ich spreche von emotionaler Sicherheit.
Wir sagen oft "Ich fühle mich nicht sicher", anstatt gerade heraus zu sagen "Ich mag das nicht".
Wir halten uns so oft zurück, weil wir denken, dass wir nicht sicher sind, oder weil wir verurteilt werden könnten. Unser idealisiertes Selbst ist nicht sicher (weil wir unser Image verlieren könnten), aber das ist eine Illusion. Und natürlich gefällt uns das nicht. Aber was ist die Gefahr? Die Ablehnung? Der Schmerz? Die Einsamkeit? … Und nochmal: was ist die Gefahr?
Die Gefahr ist das Absterben der Idee, die ich von mir selbst hatte. Das Sterben meines idealisierten Selbst.
Und was ist die Gefahr dabei?
Dass ich nicht weiß, wer ich bin. Weil die Idee davon, wer ich bin, stirbt. Wenn ich bereit bin, nicht zu wissen, wer ich bin, ist das echte Verletzlichkeit und das wahre Leben des eigenen Selbst.
Wenn wir also über Verwundbarkeit und Hilflosigkeit sprechen, sprechen wir über das Aushungern der Sehnsucht, die wir nach Verbindung haben, ein grundlegendes Bedürfnis der Menschen. Wir müssen bereit sein, Verwundbarkeit zuzulassen, um dieses Verlangen, die Sehnsucht nach Verbindung und Intimität zu erfüllen.
Wie kommt hier Core Energetics ins Spiel? Core Energetics Arbeit ist ein evolutionärer Prozess. Es ist ein Prozess der Entwicklung, des Wachsens, um sich mit nichts identifizieren zu müssen. Man muss dabei alle Vorstellungen davon, wer das Selbst ist und was das Leben ist, loslassen. Das ist es, worum es bei der Entwicklung des Selbst geht. Es geht darum, keine Definitionen zu brauchen, bereit zu sein, nackt gesehen zu werden, nicht unbedingt von anderen, sondern von sich selbst.
Es ist also eine evolutionäre Reise, hin zu einer totalen Umarmung des Selbst. Damit meine ich, sich aus den Fesseln des Märtyrertums "Mit mir stimmt etwas nicht" zu befreien. Nicht im Sinne von "es gibt nichts, was ich ändern muss" oder "es gibt nichts, auf das ich schauen muss". Wir alle haben Dinge, die wir uns anschauen sollten. Wir alle haben Wege, auf denen wir dem Leben oder uns selbst nicht dienen, und wir alle können es aushalten, das zu hinterfragen, aber das ist nicht gleichbedeutend mit "mit mir stimmt etwas nicht".
Es ist einfacher für mich, mit der Tatsache zu leben, dass ich glaube, dass mit mir etwas nicht stimmt, denn dann kann ich daran arbeiten, besser zu werden, dann bin ich nicht hilflos. In dem Moment, in dem ich mich entscheide, dass etwas mit mir nicht stimmt, kann ich es in Ordnung bringen, ich kann mich in Ordnung bringen, anstatt zu akzeptieren, dass das Menschsein bedeutet, dass ich grundsätzlich hilflos und nicht perfekt bin.
Es wird in unseren Beziehungen immer Momente geben, in denen wir Angst haben.
Ich denke dabei gerne an das Schwimmen im Meer: Was gibt dir Sicherheit, wenn das Wasser unruhig wird? Mit der Welle zu treiben. Nicht zu versuchen, die Welle zu kontrollieren, nicht zu versuchen, dagegen zu arbeiten, sondern sich keine Sorgen um die Sicherheit zu machen. Um im Wasser sicher zu sein, müssen wir „Intimität“ mit den Wellen zulassen.
Wenn wir eine gewisse Angst haben, ist daran ist nichts falsch, denn das ist der Teil des Menschseins. Und das ist im Grunde die Basis der Core Energetics Arbeit: Ich glaube wirklich, dass es keinen Weg gibt, Intimität zu haben, ohne Misstrauen in das, was Verletzlichkeit uns bringen kann. Es geht wirklich darum, bereit zu sein, "JA" zu jeder Erfahrung zu sagen und sich nicht zurückzulehnen und auf irgendeine illusionäre Sicherheit zu warten.
In Janis Joplins Song "Me and Bobby McGee" gibt es die Zeile "Freedom‘s just another word for nothin’ left to lose" (Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, nichts zu verlieren zu haben). Ich verliere alle meine Kleidung und du siehst mich nackt, nichts anderes ist da, um mich zu schützen.
Wenn wir also darüber sprechen, dass wir mit Menschen intim sein wollen, ihnen nahe sein wollen, worüber reden wir dann? Darüber, frei mit ihnen zu sein: "Ich möchte mit dir frei sein. Wer auch immer ich bin, ist in Ordnung und die Beziehung wird vollständig sein". Das ist es, was wir wirklich suchen.
Das hat sehr viel mit Grenzen zu tun und auch Verwundbarkeit hat sehr viel mit Grenzen zu tun, also auch damit, NEIN zu sagen. „Damit ich mich frei fühle, sodass ich zu dir kommen kann, muss ich wissen, dass du in der Lage sein wirst, NEIN zu sagen, und das macht mich noch freier, sodass ich verletzlich sein kann.“
Wir haben bereits über Grenzen gesprochen... Wir sagen oft: "Ich muss meine Grenzen schützen"; doch was meinen wir damit?
Die meiste Zeit meinen wir: "Ich werde ein Auge auf dich haben, damit du mir nicht wehtust". "Ich muss aufpassen, damit du mir nicht etwas wegnimmst", "Ich muss aufpassen, damit du mir nicht meinen Raum nimmst".
Und wenn wir über den Schutz unserer Grenzen nachdenken, denken wir normalerweise daran, unsere Aufmerksamkeit auf den anderen zu richten und zu versuchen, uns davor zu schützen.
Der wahre Schutz meiner Grenzen entsteht aber, wenn ich nach innen gehe und mir bewusst bin, was ich brauche. Und darauf vertraue.
Meine Grenzen zu schützen bedeutet also, meinen Bedürfnissen zu folgen.
Und was ist unser tiefstes Bedürfnis im Leben? VERBUNDENHEIT.
Verbundenheit mit der Wirklichkeit, das ist unser tiefstes Bedürfnis.
Zu spüren, wie die „Wirklichkeit“, das Leben mich durchströmt... Du kannst es Gott nennen, du kannst es Lebenskraft nennen.
Fragen zur Reflexion:
Welche idealisierten Bilder von dir selbst und deinem Partner bestimmen eure Beziehung?
Wie halten dich diese Bilder und Erwartungen davon ab, deine Verletzlichkeit zu offenbaren?
Wie (mit welchem Verhalten) schaffst du eine illusorische Sicherheit und was versteckst du dahinter (deine Verletzbarkeit)? Und dein Partner, wie ist sein/ihr Muster?
Wo vertraust du dir selbst nicht?
Vertraust du deinem Partner, dass er dir vertraut, auch wenn du dazu nicht fähig bist?
Was ist deine große Angst vor dem Unbekannten?
Was glaubst du, an dir selbst und an deinem Partner nicht zu kennen?
Quellen:
Erena Bramos Vortrag “Helplessness vs. Vulnerability” am Core Energetic Institute Greece
Was kommt als Nächstes?
Im nächsten Artikel werden wir uns mit Grenzüberschreitungen beschäftigen und damit, wie wir uns selbst, unsere Beziehungen und die Monogamie neu definieren.
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