Es gibt Aspekte unserer psychischen und physischen Gesundheit, die außerhalb unserer bewussten Kontrolle liegen. Dabei spielt unser Nervensystem eine große Rolle.
Die Polyvagaltheorie wurde von Dr. Stephen W. Porges, einem US-amerikanischen Neurowissenschaftler und Psychiater entwickelt und beschreibt die Zusammenhänge unseres Autonomen Nervensystems (ANS) auf eine neue Weise in der Form, dass es permanent Umgebungs- und Organsignale aufnimmt sowie auf Risiken hin untersucht und auswertet, um uns dabei zu helfen, zwischen sicheren und gefährlichen Situationen zu unterscheiden. Das nennt man Neurozeption.
Je nachdem, wie die Auswertung unseres ANS ausfällt, wittern wir eine Gefahr und reagieren mit einem Kampf-, Flucht- oder Erstarren-Verhalten (wie auch schon vor Millionen von Jahren). Dabei muss diese Gefahr nicht real sein, z. B. in Form eines Säbelzahntigers 😉, die Gefahr kann ebenso einfach nur gefühlt sein.
Drei Varianten, wie wir auf wahrgenommene Gefahren reagieren
Die Ergebnisse der Forschung von Dr. Porges bringen wichtige Erkenntnisse für die Psychotherapie, denn sie beschreiben den Zusammenhang zwischen Psyche und Körper auf eine neue Weise und lassen uns viele unserer Verhaltensweisen in einem neuen Licht betrachten.
Wir alle verarbeiten Erfahrungen, Sinnesreize aus der Umwelt und unseres Körpers anders. Dementsprechend reagieren wir auch unterschiedlich. Je nach Ergebnis der Wahrnehmung werden verschiedene adaptive neuronale Schaltkreise ausgelöst.
Dabei spielen im Rahmen der Neurozeption unsere „Drei Gehirne“ eine große Rolle, die sich im Laufe der Evolution ausgeprägt haben.
Wir reagieren auf „gefühlte“ Gefahren entsprechend unserer menschlichen Evolution gegebenenfalls mit unserem Reptiliengehirn bzw. „Immobilisierungssystem“. Das heißt totstellen, Energie sparen, Lähmung, Erstarren.
Im Laufe der Evolution haben wir ein „Aktivierungssystem“ entwickelt, um auf Gefahren zu reagieren. Das heißt, wir setzen Energie frei in Form von Kampf- oder Fluchtreaktionen.
Das letzte relevante System den wir vor ca. 200 Millionen Jahre entwickelt haben als wir uns zu Säugetiere entwickelten, wird als „Sozialisierungssystem“ bezeichnet. Wir suchen eine Lösung für Gefahren über Kommunikation und soziales Miteinander. Der Neocortex bzw. unser rationales Gehirn spielen hier die Hauptrolle. Gemeinschaft und Verbundenheit stehen im Vordergrund.
Je nachdem, welches System reagiert, ist unser Parasympathikus (im Erstarren: dorsaler Vagus, im Sozialisierungssystem: ventraler Vagus) oder der Sympathikus aktiviert.
In unserem Körper passiert also unbewusst sehr viel auf einmal und wir bemerken es nicht einmal.
Das Autonome Nervensystem und der Vagusnerv
Unser Autonomes Nervensystem ist nicht willentlich steuerbar und regelt unsere wichtigen Körperfunktionen, wie Herzschlag, Blutdruck, Verdauung, Atmung etc. Es ist in das sympathische und parasympathische Nervensystem untergliedert, die unterschiedlich auf unser Nervensystem wirken. Der Sympathikus ist in aktiven bzw. Stressphasen dafür verantwortlich, dass unsere Herzfrequenz steigt und unsere Atmung beschleunigt, etc., wohingegen der Parasympathikus in den Ruhephasen für den Aufbau von Energie sorgt, die Herzfrequenz verlangsamt und z. B. die Verdauung in Gang setzt.
Sind wir einer realen oder auch irrealen Gefahr ausgesetzt, reagiert unser Körper, z. B. mit schneller Atmung, Herzrasen etc. Diese Reaktionen sind das Ergebnis der ständigen Bewertung der Umgebungssignale unseres Autonomen Nervensystems.
Der Vagus Nerv ist in der Polyvagaltheorie von besonderer Wichtigkeit. Dieser sogenannte 10. Hirnnerv ist der Hauptnerv unseres parasympathischen Nervensystems und im Körper weit verzweigt. Er verläuft hinter dem Ohr beginnend bis hinunter in den Brust- und Bauchraum und hat Einfluss auf viele Organe und sogar unsere Stimmung. Er kann auch dazu beitragen, Entzündungen zu reduzieren und die Immunantwort zu verbessern. Zudem reguliert und verringert er die Angstreaktion der Amygdala.
Durch gezielte Stimulation des Vagus Nervs ist es möglich, mehr Entspannung zu erreichen und so zum Beispiel auch unsere Schlafqualität zu verbessern, in stressigen Situationen gelassener zu bleiben und die Konzentration zu steigern. Unser Körper und damit auch unsere Psyche stärken so unser Sicherheitsgefühl.
Nervensystem trainieren – Wohlbefinden steigern – Ängste abbauen
Wir können den ventralen Vagus auf viele Arten stimulieren, zum Beispiel durch Singen, Yoga, Meditation, Massage und Musik- und Bewegungsprogramme wie das Safe and Sound Protocol oder Focus System. Die beiden letzteren wurden von Dr. Stephen Porges mitentwickelt.
Um Ihr Nervensystem zu beruhigen können Sie folgende Übung ausprobieren:
Atmen Sie dabei bewusst in den Bauch und halten den Mund leicht geöffnet, sodass Ihre Kieferknochen locker sind. Atmen Sie normal durch die Nase ein und aus der Nase aus. Atmen Sie für 5- 10 Atemzüge doppelt so lange aus wie ein. Nach 5-10 Atemzügen verlängern Sie die Ausatmung zum Dreifachen der Einatmung. Wiederholen Sie diese Atemübung für weitere 10 Atemzüge. Sie werden spüren, wie Ihr ganzes System sich beruhigt.
Aber auch körperliche Aktionen können Ihr Nervensystem entspannen, wie zum Beispiel Umarmungen, Kuscheln, Streicheln von Haustieren.
In meinen Coachings arbeite ich mit Core Energetics Übungen sowie den Trainingsprogrammen SSP und Focus System, um gezielt den Vagus Nerv zu entspannen. Wenn Sie mehr dazu wissen möchten oder Fragen haben, schauen Sie sich gerne auf meiner Website um oder vereinbaren direkt ein unverbindliches kostenfreies Erstgespräch.
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